Leseprobe

Prolog


Ängste! Es gibt tausend verschiedene, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und doch haben sie eine Sache gemeinsam. Sie zwingen jeden in die Knie, öfter, als es uns bewusst ist. Unzählige Male verstreichen Gelegenheiten aufgrund von Versagensängsten. Wir lassen eine Liebe ziehen, weil wir uns davor fürchten, ehrlich zu sein. Hüllen uns in Schweigen, anstatt mutig hervorzutreten und für uns und andere einzustehen. Diese Ängste sind wie Dünger für Dämonen, eine Droge zugunsten Satans. Wenn wir zurückschrecken, kommt er hervor und labt sich an unserer Pein. Genießt den kalten Schweiß, unser Zittern und jeden Atemzug, der uns durch das beklemmende Gefühl in der Brust schwerfällt.
Das Fegefeuer ist die Reinigung, eine Sphäre, die für einen einzigen Zweck ins Leben gerufen wurde: dir dieser Ängste bewusst zu werden und dich mit ihnen zu konfrontieren. Dieser Ort existiert fernab von Himmel und Hölle, zeitlich begrenzt, nicht freiwillig wählbar oder eine Fluchtmöglichkeit bietend.
Es hängt an dir, wie viel Zeit du für die Säuberung benötigst. Und lass dir eins gesagt sein: Das Fegefeuer ist anders, als du es erwartest. Es zielt nicht darauf ab, zurückzublicken und dich deiner Sünden reinzuwaschen. Es ist kein Ort der Bestrafung, sondern der Entwicklung. Glaube nicht, dass es deshalb weniger schmerzhaft sein wird, im Gegenteil. Unsere Vergangenheit kennen wir, nicht aber unsere Zukunft. Diese Ungewissheit ist es, die uns nachts wachhält, den Schlaf raubt, und Luzifer weidet sich daran.


1. Kapitel

Der unerträglich lange kalte Sommer erschien Tristan endlos. In diesen drei Monaten hegte er die Befürchtung, dass die Ferien diesmal nie vorübergehen würden.
Aber dann kam endlich der 1. Oktober. Das neue Schuljahr und damit die heiß ersehnte Erlösung waren endlich zum Greifen nah. Der Wermutstropfen daran: Leider war es sein fünftes und somit letztes Jahr an der Academy, wie für alle spirituellen Wesen, genannt Maxia, um die neunzehn Jahre. Dort lernten sie, mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten umzugehen, und wurden für ihr jeweiliges Schicksal ausgebildet.
Am Ende des letzten Schuljahrs würde sich Tristans Zukunft, seine Bestimmung und damit der Ort entscheiden, an dem er den Rest seines unsterblichen Lebens verbringen würde. Einerseits war er froh, endlich an die Academy zurückzukönnen, anderseits gab es nach der fünften Stufe keinen Ort mehr, an dem er vor seinem Vater sicher war. Und davor fürchtete er sich, seitdem er im Alter von zwölf Jahren erfahren hatte, wer sein Samenspender gewesen war.
Am 16. April vor sechs Jahren war seine Mutter Elea bei einem Autounfall gestorben. Von ihr hatte er nur ein einziges Foto seines Vaters gekannt, das in einer Nacht auf Sizilien entstanden war, als die beiden sich während eines Kurztrips kennengelernt hatten. Damals war sie zweiundzwanzig Jahre alt gewesen und hatte jeden Tag genossen, als wäre es ihr letzter. Nach dem Urlaub bemerkte sie ihre Schwangerschaft und zog Tristan allein groß. Sie besaßen nie viel und lebten von Eleas Aushilfsjobs, was für ihren Sohn nie ein Problem darstellte.
Als sie starb, wäre Tristan beinahe in die Hände des Jugendamts gefallen, was ihm im Nachhinein definitiv lieber gewesen wäre. Aber dann stand aus heiterem Himmel der Mann von dem Foto vor ihm, zwölf Jahre später, aber um keinen Tag gealtert. Ein DNA-Test bewies den Behörden seine Vaterschaft, und von da an änderte sich Tristans komplettes Leben. An diesem Tag erfuhr er von der mystischen, verborgenen Welt, die neben der normalen existierte, und fand sich fortan wortwörtlich in der Hölle wieder. Denn sein Vater war Luzifer höchstpersönlich – und somit war ihm ein Schicksal in die Wiege gelegt worden, das er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen hätte ausmalen können.
Und diesem Schicksal zu entfliehen … Ja, das versuchte er, mehrere Male. Im ersten Schuljahr auf der Sombra Academy verließ er dreimal das Schulgelände und setzte sich in einen wahllosen Zug. Sogar ins nächstbeste Flugzeug stieg er, um nie wieder in das Eisverlies zu seinem Vater zurückkehren zu müssen, aber er fand ihn immer. Und sein Zorn wurde mit jedem Mal grausamer.

Anfangs verbannte er ihn in die Eiswüste, einen dunklen, kalten, hoffnungslosen Ort, der den Großteil der Hölle ausmachte. Monatelang war er dort gefangen, wobei auf der Erde nur Minuten verstrichen. Einsam fror er, fühlte nichts als Hunger und Kälte. Zeit war an diesem Ort relativ, Minuten fühlten sich an wie Stunden, Jahre wie Sekunden. Einzig und allein seine Uhr, ein Geburtstagsgeschenk seiner Mutter, ließ ihn im Herrscherpalast den Überblick behalten. Aber außerhalb dieser Mauern, wenn man sich tiefer in die Dunkelheit begab, hörten die Zeiger auf, sich zu bewegen. Nach einer Weile aber gab sich Luzifer mit dieser Art der Bestrafung nicht mehr zufrieden und fügte seinem Sohn zusätzlich zu dem seelischen Schmerz auch körperlichen zu. Bis Tristan sich mehr vor der Wut Luzifers als der Hölle fürchtete und aufgab. Aber nun zurück zu diesem 1. Oktober …

Tristan sah auf seine Armbanduhr: fünf vor sechs zeigte sie an. Wie üblich gähnte er nach einer kurzen Nacht im Höllenreich seines Vaters, denn das Wimmern der gequälten Seelen, die diese Gemäuer umgaben, hörte niemals auf. Es klang wie ein Sturm, der sich durch Haustüren und Fenster presste, ein nie endendes Zischen, bloß noch viel qualvoller und hoffnungsloser als das heftigste Unwetter. Man sollte meinen, Tristan hätte sich nach sechs Jahren daran gewöhnt, aber diese schrecklichen Geräusche weckten ihn regelmäßig und hinterließen ein tiefgehendes Frösteln unter seiner Haut.
Fünfzig Minuten, dann verlasse ich endlich diesen Ort.
Je näher das ersehnte Ziel rückte, desto langsamer verging die Zeit. So kam es ihm zumindest vor. Seinen Koffer hat er seit einer Woche gepackt, in der Hoffnung, dass die letzten Tage in der Hölle dadurch schneller vergehen würden, doch es hatte nichts gebracht. Es überraschte ihn fast, dass der Tag seines Aufbruchs doch noch gekommen war.
Müde schwang er seine Beine aus dem Bett, erzitterte kurz, als seine nackten Füße den kalten Steinboden berührten, strich sich durch seine dunklen, glatten Haare und schleppte sich durch das Schlafzimmer ins Bad. Wie jeden Morgen begrüßten ihn seine dunkelbraunen Augen aus dem runden Spiegel oberhalb des Waschbeckens.
Nach dem Zähneputzen stieg er mit flauem Magen in die Dusche. Der Regen auf seiner Haut weckte dunkle Erinnerungen, die er eisern zu unterdrücken versuchte. Vergeblich! Sofort fühlte er sich eingekerkert, von Glaswänden umgeben und von Luzifers kalten Augen verfolgt. Obwohl das Wasser angenehm temperiert war, bildete er sich ein Brennen auf seiner Haut ein, als wäre er in einer von Luzifers Lieblingsfoltermethoden gefangen. Zitternd und flach atmend beendete er das notwendige Übel der Morgenroutine. Im Anschluss schlüpfte er in eine schwarze Jeans mit passendem Hoodie und strich sich sein feuchtes Haar zurück.
Ein letztes Mal schaute er sich in seinem grau gemauerten Zimmer um. Luzifer konnte Unordnung nicht leiden, daher achtete Tristan immer darauf, es ordentlich zu verlassen. Sein Bett war gemacht, die Wäsche verräumt und die Armaturen im Bad waren gereinigt, wie jeden verdammten Tag. Sein Schlafzimmer erinnerte an eine Nervenheilanstalt aus einem Horrorfilm, dessen Anblick selbst im Sonnenlicht, das hier unten zu seinem Bedauern nicht existierte, eine Gänsehaut auslösen würde.
Ein weiterer Blick auf die Uhr: zwanzig vor sieben. Zum Glück war er nicht zu spät dran, denn Luzifer hasste es, wenn man ihn warten ließ.
In den Ferien setzte Tristan immer alles daran, seinem Vater so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, aber jedes Jahr wurde es schwieriger. Seine Tage in Freiheit waren gezählt. Bald gehörte Tristan nur ihm, sein Körper genauso wie seine Seele. Das ließ Luzifer ihn immer deutlicher spüren. Vielleicht war es seine verquere Art, um ihm den Übergang leichter zu machen, aber an sich traute Tristan seinem Vater dieses Maß an Empathie nicht zu. Seit seine Wohnadresse »Hölle« lautete, bezog Luzifer ihn mehr und mehr in seine Arbeit ein, mit dem Ziel, dass er ihm in neun Monaten zur vollen Verfügung stehen und jedem seiner Befehle willenlos Gehorsam leisten würde. Allerdings bezeichnete Luzifer diese Tätigkeiten nie als Arbeit, sondern als seine Bestimmung. Eine, die er sich selbst auferlegte, aber seinem Sohn ließ er keine Wahlfreiheit. Dass er nichts zu melden hatte, hatte Tristan auf schmerzhafte Weise gelernt: Nicht nur las Luzifer Menschen wie ein offenes Buch, er konnte ihnen auch durch reinen Blickkontakt Höllenqualen zufügen, was Tristan schon etliche Male am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Aber Luzifer hatte auch nie Bedenken, sich dabei die Finger schmutzig zu machen. Egal ob er seine Folterinstrumente verwendete oder seine bloße Gedankenkraft, das Ergebnis war dasselbe: Schmerz!
Tristans Muskeln waren angespannt, als er sich auf den Weg zu seinem Vater machte. Heute fiel es ihm wieder besonders deutlich auf, dass der Höllenpalast in jeder Ecke gleich desolat aussah: graue Mauern, gedimmtes Licht aus Neonröhren, menschenleere Gänge, und die eisige Luft machte den eigenen Atem stets sichtbar. Unterwegs begegnete er einigen Dämonen, die an ihm vorbeiliefen, als wäre er nicht existent. Das war für ihn vollkommen in Ordnung, denn er hasste es, von ihnen angesprochen zu werden. Zum einen waren sie gefühllose, grausame Kreaturen, die Tristan am liebsten Tag und Nacht quälen würden, zum anderen überbrachten sie meist nur Luzifers Botschaften, was nie etwas Gutes nach sich zog. Als er neu in der Hölle gewesen war, hatte er sich regelmäßig in seinem Kleiderschrank versteckt, weil ihm die grauenvollen Gestalten bis in seine Träume verfolgt hatten, aber inzwischen fielen ihm die verunstalteten Monster kaum mehr auf.
Vor der Zentrale atmete Tristan tief durch, ehe er klopfte und wartete, dass er die Erlaubnis zum Eintreten bekam. »Komm herein, Sohn«, rief Luzifer mit gewohnt kalter Stimme. Wärme bekam Tristan von seinem Vater nie. Für Luzifer war sein Stammhalter lediglich ein Mittel dazu, um seine Stärke und Einfluss in der magischen Gemeinde auszuweiten. Daher wartete er ungeduldig darauf, dass sein Sohn seinen Abschluss endlich in der Tasche hatte. Bisher hatte er ihm allerdings noch nicht verraten, welche Aufgaben er zukünftig übernehmen sollte. Tristan bezweifelte allerdings, dass es ihm gefallen würde. Keine von Luzifers Machenschaften waren für ihn auch nur ansatzweise erstrebenswert.
Obwohl er überall sonst lieber gewesen wäre, öffnete Tristan die Tür ...


Buchtropes

  • Einzelband
  • Dark Academy
  • The Evil One
  • Slow Burn
  • Hölle
  • Engel
  • Troubled Protagonist
  • Dämonen


portrait

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